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Anmerkung d. Red.: In Heſt 2 (Schwerpunkt Internetwahlen) wurde aufgrund eines redaktionellen Versehens statt des Urteils des OVG üringen vom 30.5.2013 zur Wahlordnung der Uni- versität Jena für Online-Wahlen (Az. 1 N 240/12) der vorherge- hende Beschluss aus 2012 abgedruckt. Das Urteil, auf das insbe- sondere der Beitrag von Roßnagel/Richter in Heſt 2 verweist, ist nunmehr online auf der Website der DuD http://www.dud.de/ binary/DuD_Recht_OVG_ueringen.pdf abruar. Wir bitten das Versehen zu entschuldigen. BVerfG: DNA-Identitätsfeststellung 1. Die Feststellung, Speicherung und (künſtige) Verwendung eines DNA-Identifizierungsmusters greiſt in das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Grund- recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. 2. Notwendig für die Anordnung einer Maßnahme nach § 81g StPO ist, dass wegen der Art oder Ausführung der bereits ab- geurteilten Straſtat, der Persönlichkeit des Verurteilten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn erneut Strafverfahren wegen Straſtaten von erheb- licher Bedeutung zu führen sind. 3. Eine rechtliche Bindung an eine von einem anderen Gericht zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung getroffene So- zialprognose besteht dabei nicht, doch entsteht in Fällen ge- genläufiger Prognosen verschiedener Gerichte regelmäßig ein erhöhter Begründungsbedarf für die nachfolgende ge- richtliche Entscheidung, mit der eine Maßnahme nach § 81g StPO angeordnet wird. (Orientierungssätze) Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom. 29. September 2013, Az.: 2 BvR 939/13. Zum Sachverhalt: Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die im Anschluss an ei- ne rechtskräſtige strafgerichtliche Verurteilung erfolgte Anord- nung der Entnahme von Körperzellen und die molekulargeneti- sche Untersuchung derselben zur Identitätsfeststellung in künf- tigen Strafverfahren. Das Landgericht Hamburg verurteilte den Beschwerdeführer mit Urteil vom 28. Februar 2012, rechtskräſtig mit Ablauf des 6. März 2012, wegen Hehlerei gemäß § 259 Abs. 1 StGB zu einer Freiheits- strafe von einem Jahr und fünf Monaten, deren Vollstreckung ge- mäß § 56 Abs. 1 und 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt wurde. Aufgrund der Verurteilung ordnete das Amtsgericht Ham- burg mit Beschluss vom 19. Februar 2013 auf Grundlage des § 81g StPO die Entnahme von Körperzellen und die Durchführung ei- ner molekulargenetischen Untersuchung an. Die gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg eingelegte Beschwerde verwarf das Landgericht Hamburg als unbegründet. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer ei- ne Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Auf Antrag des Beschwerdeführers hat die Kammer mit Be- schluss vom 8. Mai 2013 die Vollziehung der angefochtenen Be- schlüsse bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde im Wege der einstweiligen Anordnung ausgesetzt. Aus den Gründen: […] II. Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung ange- nommen, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchsta- be b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 S. 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zur Zulässigkeit der Entnahme und molekulargenetischen Untersuchung von Körperzellen und zu den Anforderungen an die Begründung entsprechender richterlicher Anordnungen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Danach ist die Verfassungsbeschwerde in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Sinn zulässig und begründet. 1. Die Feststellung, Speicherung und (künſtige) Verwendung eines DNA-Identifizierungsmusters greiſt in das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Grund- recht auf informationelle Selbstbestimmung ein (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Dezember 2000 – 2 BvR 1741/99 u.a. –, BVerfGE 103, 21 <32 f.>). Dieses Recht gewährleistet die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätz- lich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Gren- zen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (BVerfGE 65, 1 <41 ff.>; 78, 77 <84>). Diese Verbürgung darf nur im über- wiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden; die Einschränkung darf nicht weiter ge- hen, als es zum Schutz des öffentlichen Interesses unerlässlich ist (vgl. BVerfGE 103, 21 <33>). Die Gerichte sind bei der Auslegung und Anwendung des § 81g StPO gehalten, die Bedeutung und Tragweite dieses Grundrechts angemessen zu berücksichtigen (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2001 – 2  BvR 429/01 u.a. –, juris, Rn. 17; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2007 – 2 BvR 2577/06 –, juris, Rn. 17; Beschluss der 2. Kammer des Zwei- ten Senats vom 1. September 2008 – 2  BvR 939/08 –, juris, Rn. 12; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Mai 2009 – 2  BvR 287/09 u.a. –, juris, Rn. 22; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Juli 2013 – 2  BvR 2392/12 –, juris, Rn. 11). Notwendig für die Anordnung einer Maßnahme nach § 81g StPO ist, dass wegen der Art oder Ausführung der bereits ab- geurteilten Straſtat, der Persönlichkeit des Verurteilten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn erneut Strafverfahren wegen Straſtaten von erheb- licher Bedeutung zu führen sind. Die Prognoseentscheidung setzt voraus, dass ihr eine zureichen- de Sachaulärung vorausgegangen ist und die für sie bedeutsa- men Umstände nachvollziehbar abgewogen werden. Redaktion: Benedikt Buchner DuD Recht 268 DuD Datenschutz und Datensicherheit 4 | 2014 DUD RECHT

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Anmerkung d. Red.: In Heft 2 (Schwerpunkt Internetwahlen) wurde aufgrund eines redaktionellen Versehens statt des Urteils des OVG Thüringen vom 30.5.2013 zur Wahlordnung der Uni-versität Jena für Online-Wahlen (Az. 1 N 240/12) der vorherge-hende Beschluss aus 2012 abgedruckt. Das Urteil, auf das insbe-sondere der Beitrag von Roßnagel/Richter in Heft 2 verweist, ist nunmehr online auf der Website der DuD http://www.dud.de/binary/DuD_Recht_OVG_Thueringen.pdf abrufbar. Wir bitten das Versehen zu entschuldigen.

BVerfG: DNA-Identitätsfeststellung

1. Die Feststellung, Speicherung und (künftige) Verwendung eines DNA-Identifizierungsmusters greift in das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Grund-recht auf informationelle Selbstbestimmung ein.

2. Notwendig für die Anordnung einer Maßnahme nach § 81g StPO ist, dass wegen der Art oder Ausführung der bereits ab-geurteilten Straftat, der Persönlichkeit des Verurteilten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheb-licher Bedeutung zu führen sind.

3. Eine rechtliche Bindung an eine von einem anderen Gericht zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung getroffene So-zialprognose besteht dabei nicht, doch entsteht in Fällen ge-genläufiger Prognosen verschiedener Gerichte regelmäßig ein erhöhter Begründungsbedarf für die nachfolgende ge-richtliche Entscheidung, mit der eine Maßnahme nach § 81g StPO angeordnet wird. (Orientierungssätze)

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom. 29. September 2013, Az.: 2 BvR 939/13.

Zum Sachverhalt:Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die im Anschluss an ei-ne rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung erfolgte Anord-nung der Entnahme von Körperzellen und die molekulargeneti-sche Untersuchung derselben zur Identitätsfeststellung in künf-tigen Strafverfahren.

Das Landgericht Hamburg verurteilte den Beschwerdeführer mit Urteil vom 28. Februar 2012, rechtskräftig mit Ablauf des 6. März 2012, wegen Hehlerei gemäß § 259 Abs. 1 StGB zu einer Freiheits-strafe von einem Jahr und fünf Monaten, deren Vollstreckung ge-mäß § 56 Abs. 1 und 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Aufgrund der Verurteilung ordnete das Amtsgericht Ham-burg mit Beschluss vom 19. Februar 2013 auf Grundlage des § 81g StPO die Entnahme von Körperzellen und die Durchführung ei-ner molekulargenetischen Untersuchung an.

Die gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg eingelegte Beschwerde verwarf das Landgericht Hamburg als unbegründet.

Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer ei-ne Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.

Auf Antrag des Beschwerdeführers hat die Kammer mit Be-schluss vom 8. Mai 2013 die Vollziehung der angefochtenen Be-schlüsse bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde im Wege der einstweiligen Anordnung ausgesetzt.

Aus den Gründen:[…] II. Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung ange-nommen, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchsta-be b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 S. 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zur Zulässigkeit der Entnahme und molekulargenetischen Untersuchung von Körperzellen und zu den Anforderungen an die Begründung entsprechender richterlicher Anordnungen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Danach ist die Verfassungsbeschwerde in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Sinn zulässig und begründet.

▶ 1. Die Feststellung, Speicherung und (künftige) Verwendung eines DNA-Identifizierungsmusters greift in das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Grund-recht auf informationelle Selbstbestimmung ein

(vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Dezember 2000 – 2 BvR 1741/99 u.a. –, BVerfGE 103, 21 <32 f.>). Dieses Recht gewährleistet die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätz-lich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Gren-zen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (BVerfGE 65, 1 <41 ff.>; 78, 77 <84>). Diese Verbürgung darf nur im über-wiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden; die Einschränkung darf nicht weiter ge-hen, als es zum Schutz des öffentlichen Interesses unerlässlich ist (vgl. BVerfGE 103, 21 <33>).

▶ Die Gerichte sind bei der Auslegung und Anwendung des § 81g StPO gehalten, die Bedeutung und Tragweite dieses Grundrechts angemessen zu berücksichtigen

(BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2001 – 2  BvR 429/01 u.a. –, juris, Rn. 17; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2007 – 2 BvR 2577/06 –, juris, Rn. 17; Beschluss der 2. Kammer des Zwei-ten Senats vom 1. September 2008 – 2  BvR 939/08 –, juris, Rn. 12; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Mai 2009 – 2  BvR 287/09 u.a. –, juris, Rn. 22; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Juli 2013 – 2  BvR 2392/12 –, juris, Rn. 11).

▶ Notwendig für die Anordnung einer Maßnahme nach § 81g StPO ist, dass wegen der Art oder Ausführung der bereits ab-geurteilten Straftat, der Persönlichkeit des Verurteilten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheb-licher Bedeutung zu führen sind.

Die Prognoseentscheidung setzt voraus, dass ihr eine zureichen-de Sachaufklärung vorausgegangen ist und die für sie bedeutsa-men Umstände nachvollziehbar abgewogen werden.

Redaktion: Benedikt Buchner

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▶ Hierfür bedarf es einer Darlegung positiver, auf den Einzel-fall bezogener Gründe; die bloße Wiedergabe des Gesetzes-wortlauts reicht nicht aus

(vgl. BVerfGE 103, 21 <35, 38>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Februar 2006 – 2  BvR 561/03 –, juris, Rn. 16; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Sep-tember 2007 –  2 BvR 2577/06 –, juris, Rn. 17; Beschluss der 2. Kam-mer des Zweiten Senats vom 1. September 2008 – 2  BvR 939/08 -, juris, Rn. 13). Erforderlich ist, dass die seitens des Gerichts erwoge-nen Tatsachen in der Begründung der Entscheidung nachvollzieh-bar dargelegt sind (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Januar 2008 – 2  BvR 2391/07 –, juris, Rn. 4).

▶ Eine rechtliche Bindung an eine von einem anderen Gericht zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung getroffene So-zialprognose besteht dabei nicht, doch entsteht in Fällen ge-genläufiger Prognosen verschiedener Gerichte regelmäßig ein erhöhter Begründungsbedarf für die nachfolgende gerichtli-che Entscheidung, mit der eine Maßnahme nach § 81g StPO angeordnet wird

(BVerfGE 103, 21 <36 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2001 – 2  BvR 429/01 u.a. –, juris, Rn. 30; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 1. September 2008 – 2  BvR 939/08 –, juris, Rn. 14; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Mai 2009 – 2  BvR 287/09 u.a. –, juris, Rn. 22).2. Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben genügen die ange-griffenen Entscheidungen nicht. Insbesondere haben die Gerich-te nicht sämtliche für den notwendigen Abwägungsvorgang be-deutsamen Umstände in ihre Überlegungen einbezogen oder sol-che in ausreichendem Maß dargelegt.

Das Amtsgericht schließt allein aus Menge und Wert des er-langten Stehlgutes auf Persönlichkeitsmängel des Beschwerde-führers, die Grund zu der Annahme böten, gegen den Betrof-fenen werde erneut wegen einer Straftat von erheblicher Bedeu-tung ermittelt werden. Hier erfolgt keine Auseinandersetzung mit den Gründen der positiven Sozialprognose im Rahmen der Be-währungsentscheidung. Ebenso bleibt das situative Zusammen-wirken einzelner Faktoren für das Zustandekommen des hehle-rischen Ankaufs durch den Beschwerdeführer bei der Prognose außer Betracht. Letztlich schließt das Amtsgericht allein aus ei-ner einmaligen Begehung auf zukünftige Straftaten erheblicher Bedeutung. Tatsachen, die diese Negativprognose positiv stüt-zen würden, werden nicht dargelegt.

Das Landgericht begründet zwar zutreffend den maßstäbli-chen Unterschied zwischen der Bewährungsentscheidung und der Entscheidung nach § 81g StPO, setzt sich jedoch ebenfalls nicht mit den inhaltlichen Gründen der positiven Sozialprogno-se auseinander. So geht es nicht auf die Gründe ein, derentwegen das Strafurteil aus den hohen Schulden des Beschwerdeführers – denen Immobilieneigentum gegenübersteht, aus dessen Vermie-tung er jährlich 35.000 bis 40.000 Euro Gewinn erzielt – keine Ne-gativprognose abgeleitet hatte. Ebenso fehlt es an einer argumen-tativen Auseinandersetzung mit der besonderen Verlockungssi-tuation, in der sich der Beschwerdeführer zum Ankauf der Hehl-ware entschied. Weshalb vor diesem Hintergrund nach Art und Ausführung der vorangegangenen Tat die begründete Annahme besteht, dass gegen den Beschwerdeführer künftig Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu führen sind, legt das Landgericht nicht dar. […]

BFH: Sammelauskunftersuchen der Steuerfahndung

Die Beantwortung eines Sammelauskunftsersuchens der Steu-erfahndung zu Daten der Nutzer einer Internethandelsplatt-form kann nicht wegen einer privatrechtlich vereinbarten Ge-heimhaltung dieser Daten abgelehnt werden.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. Mai 2013, Az.: II R 15/12.

Zum SachverhaltDie Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, hat ihren Betrieb auf ihre in Luxemburg ansässige Schwestergesell-schaft (S) übertragen und sich dieser gegenüber zu umfangrei-chen Datenverarbeitungsleistungen auf der Grundlage der Lu-xemburger Datenschutzbestimmungen verpflichtet.

Die Muttergesellschaft der Klägerin und der S ist M. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt für Fahn-

dung und Strafsachen Hannover) bat die Klägerin mit dem am 10. Mai 2010 abgesandten Ersuchen in den Besteuerungsverfah-ren namentlich nicht bekannter Verkäufer beim Internethandels-haus XY um bestimmte Auskünfte und Übersendung entspre-chender Unterlagen.

Im Einzelnen hat das Auskunftsersuchen folgenden Inhalt: „Welche Nutzer von XY mit Wohn- oder Firmen- bzw. Ge-schäftssitz in Niedersachen haben in der Zeit vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2009 für mehr als 17.500 Euro pro Jahr Verkäufe über XY getätigt? Zu den betroffenen Nutzern benötige ich folgende Angaben: 1. Name, Vorname, Geburtsdatum (soweit vorhanden) und Anschrift; bei Gesellschaften zusätzlich Bezeichnung der Ge-sellschaft, und – soweit vorhanden – Name, Vorname und das Geburtsdatum der Gesellschafter, Telefon und E-Mail-Adresse2. Weitere XY-Teilnehmernamen (Pseudonyme)3. Bankverbindung/Kreditkartennummer, Einzelaufstellungen der Verkäufe der jeweiligen o.a. Nutzer mit mindestens folgen-den Angaben:a) XY-Mitgliedsnameb) Datum des Verkaufs bzw. Auktionsendec) Artikelbezeichnungd) Verkaufspreis bzw. Höchstgebote) Artikelnummerf) Anzahl der verkauften Artikel pro Angebot.“

Zur Begründung führte das FA aus, dass es verpflichtet sei, Steu-ern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festsetzen und zu er-heben (Art. 3 GG, § 85 AO). Dazu gehöre u.a. auch die Aufgabe der Steuerfahndung, unbekannte Steuerfälle zu ermitteln (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO). Im Rahmen von Internetermittlungen sei festgestellt worden, dass Nutzer von Internet-Plattformen, bei de-nen diese die Möglichkeit hätten, Wirtschaftsgüter unter Pseudo-nymen zum Verkauf anzubieten, ihre steuerlichen Pflichten nicht immer ordnungsgemäß erfüllten.

Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos. Daraufhin legte sie Klage vor dem FG ein. Mit der Klage brachte die Klägerin vor, das Sammelauskunftersuchen sei nichtig, weil sie die verlangten Aus-künfte nicht erteilen könne. Allein S verfüge als Betreiberin der Internethandelsplattform über die Verkäuferdaten. Sie, die Kläge-rin, sei lediglich eine Servicegesellschaft für S, für die sie Dienst-leistungen erbringe.

Das FG hob daraufhin antragsgemäß das Auskunftsersuchen und den „Einspruchsbescheid“ mit der Begründung auf, die Er-

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teilung der vom FA geforderten Auskunft sei der Klägerin in tat-sächlicher Hinsicht unmöglich.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen und formellen Rechts.

Aus den Gründen:[…] II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FGO). Das FG hat auf der Grundlage der von ihm getrof-fenen Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) zu Unrecht angenom-men, dass das Auskunftsersuchen rechtswidrig sei, weil der Klä-gerin die Erteilung der erbetenen Auskünfte nicht möglich sei.1. Nach § 93 Abs. 1 S. 1 AO haben auch andere Personen als die Beteiligten eines Steuerverwaltungsverfahrens der Finanzbe-hörde die zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforderlichen Auskünfte zu erteilen.a) Bei der Einholung von Auskünften anderer Personen als der Beteiligten am Besteuerungsverfahren handelt es sich nach § 92 S. 2 Nr. 1 AO um ein Beweismittel, dessen sich die Finanzbehör-de gemäß § 92 S. 1 AO bedienen kann, soweit sie es nach pflicht-gemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erfor-derlich hält.aa) Die Einholung der Auskünfte anderer Personen dient der Erfül-lung der sich aus § 85 AO ergebenden Pflichten der Finanzbehör-den. Die Finanzbehörden haben nach dieser Vorschrift die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erhe-ben. Insbesondere haben sie sicherzustellen, dass Steuern nicht ver-kürzt, zu Unrecht erhoben oder Steuererstattungen und Steuerver-gütungen nicht zu Unrecht gewährt oder versagt werden.bb) Diese Besteuerungsgrundsätze dienen nicht nur dem fiska-lischen Interesse an der Sicherung des Steueraufkommens. Ih-nen kommt vielmehr im Hinblick auf den allgemeinen Gleich-heitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG) verfassungsrechtliche Bedeutung zu […].cc) Der Gesetzgeber ist demgemäß von Verfassungs wegen ver-pflichtet, zur Vermeidung der Verfassungswidrigkeit des mate-riellen Steuergesetzes dieses in ein normatives Umfeld einzubet-ten, das die tatsächliche Lastengleichheit der Steuerpflichtigen gewährleistet, insbesondere auch durch die Ergänzung des De-klarationsprinzips durch das Verifikationsprinzip (BVerfG-Ur-teil in BVerfGE, 84, 239, BStBl II 1991, 654, unter C.I.2.; BVerfG-Beschluss vom 9. März 2004, 2 BvL 17/02, BVerfG 110, 94, BStBl II 2005, 56, unter C.II.1.). Der – auch strafrechtlich sanktionierte (§ 370 AO) – Steueranspruch des Staates begründet sich aus dem Umstand, dass der Betroffene am staatlichen Leben teilnimmt, ihm insbesondere Schutz, Ordnung und Leistungen der staatli-chen Gemeinschaft zugutekommen. Ihm darf daher ein Anteil an den finanziellen Lasten zur Aufrechterhaltung des staatlichen Lebens auferlegt werden.

▶ Die Bemessung dieses Lastenanteils nach Maßstäben verhält-nismäßiger Gleichheit erfordert die Angabe von Daten, die ei-ne solche Gleichheit der Besteuerung ermöglichen.

▶ Das überwiegende Allgemeininteresse an der Offenlegung steuerlich erheblicher Angaben rechtfertigt daher Eingriffe in den durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 14 GG verbürgten grundrechtlichen Datenschutz, und zwar insbe-sondere, wenn es um Vorgänge des marktoffenbaren Erwerbs ohne besonderen persönlichkeitsgeprägten Gehalt geht

(BVerfG-Urteil in BVerfG 84, 239, BStBl II 1991, 654, unter C.II.2.c). Die im Steuerrecht verankerten Auskunfts- und Anzei-gepflichten sowie die Ermächtigung zur Ausschreibung von Kon-trollmitteilungen (§§ 93 Abs. 1, 194 Abs. 3, 208 Abs. 1 AO) genü-gen den Anforderungen des grundrechtlich verbürgten Daten-schutzes. Sie sind gesetzlich hinreichend bestimmt und entspre-chen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BVerfG-Urteil in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654, unter C.II.2.c).dd) Die Auskunftspflicht anderer Personen nach § 93 Abs. 1 S. 1 AO ist wie die prozessuale Zeugenpflicht eine allgemeine Staatsbürgerpflicht und ebenfalls verfassungsrechtlich unbe-denklich. Sie ist Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung und verstößt insbesondere nicht gegen das Recht auf informa-tionelle Selbstbestimmung. Einschränkungen des Rechts auf in-formationelle Selbstbestimmung sind im überwiegenden Allge-meininteresse hinzunehmen, sofern diese Beschränkung auf ei-ner gesetzlichen Grundlage beruht, aus der sich ihre Vorausset-zungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben, und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht. Eine solche Regelung ent-hält § 93 Abs. 1 S. 1 AO, der mit ausreichender Deutlichkeit be-sagt, dass Dritte unter den dort genannten Voraussetzungen zur Erteilung von Auskünften an die Finanzbehörde verpflichtet sind (BFH-Urteil vom 22. Februar 2000 VII R 73/98, BFHE 191, 211, BStBl II 2000, 366).

Dabei bildet die gesetzliche Ausgestaltung des Steuergeheim-nisses gemäß § 30 AO und § 355 StGB grundsätzlich das den ver-fassungsrechtlichen Anforderungen genügende Gegenstück zu den Offenbarungspflichten im Besteuerungsverfahren (BVerfG-Urteil in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654, unter C.II.2.c; BVerfG-Beschluss in BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56, unter C.II.1.).

▶ ee) Die Finanzbehörde darf allerdings eine Auskunft von Per-sonen, die nicht am Besteuerungsverfahren beteiligt sind, nur verlangen, wenn sie zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und notwendig, die Pflichterfüllung für den Betroffenen möglich und seine Inanspruchnahme erforderlich, verhältnismäßig und zumutbar ist

(BFH-Urteil in BFHE 148, 108, BStBl II 1988, 359, unter II.4.). Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit der Aus-kunftserteilung ist der hohe Stellenwert des Interesses der Allge-meinheit an einer möglichst lückenlosen Verhinderung von Steu-erverkürzungen zu berücksichtigen (vgl. oben II.1.a bb und cc).ff) Die Auskünfte nach § 93 Abs. 1 S. 1 AO sind gemäß § 93 Abs. 3 S. 1 AO wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen zu erteilen. Auskunftspflichtige, die nicht aus dem Gedächtnis Aus-kunft geben können, haben gemäß § 93 Abs. 3 S. 2 AO Bücher, Aufzeichnungen, Geschäftspapiere und andere Urkunden, die ih-nen zur Verfügung stehen, einzusehen und, soweit nötig, Auf-zeichnungen daraus zu entnehmen. Diese Unterlagen brauchen nicht in Papierform verkörpert zu sein. Die Vorschrift gilt viel-mehr auch für elektronisch gespeicherte Daten. Insoweit gilt für die von § 93 Abs. 3 S. 2 AO verwendeten Begriffe nichts anderes wie für die damit übereinstimmenden Begriffe in § 93 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 AO (vgl. dazu Schuster in Hübschmann/Hepp/Spitaler – HHSp –, § 97 AO Rz 5; Seer in Tipke/Kruse, Abgaben-ordnung, Finanzgerichtsordnung, § 97 AO Rz 2; Roser in Beer-mann/Gosch, AO § 97 Rz 7; Pahlke/Koenig/Wünsch, Abgaben-ordnung, 2. Aufl., § 97 Rz 3; Klein/Rätke, AO, 11. Aufl., § 97 Rz 8).

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gg) Nur solche Unterlagen stehen dem Auskunftspflichtigen i.S. des § 93 Abs. 3 S. 2 AO zur Verfügung, die sich in seiner Verfü-gungsmacht befinden oder hinsichtlich derer er einen Heraus-gabeanspruch hat (BFH-Beschluss vom 13. August 2002 VII B 267/01, BFH/NV 2003, 63).

Bücher, Aufzeichnungen, Geschäftspapiere und andere Urkun-den, die sich im Herrschaftsbereich des Auskunftspflichtigen be-finden, stehen ihm nicht allein deshalb nicht zur Verfügung i.S. des § 93 Abs. 3 S. 2 AO, weil sich der Auskunftspflichtige in ei-nem zivilrechtlichen Vertrag gegenüber einem Dritten zu deren Geheimhaltung verpflichtet hat.

▶ Die Pflicht zur Beantwortung von Auskunftsersuchen der Fi-nanzbehörden nach dieser Vorschrift kann durch zivilrechtli-che Verträge nicht wirksam ausgeschlossen oder beschränkt werden. Sie unterliegt nicht der Disposition Privater.

Auskunfts- und Vorlageverweigerungsrechte bedürfen einer ge-setzlichen Grundlage, wie sie §§ 101, 102, 103 und 104 AO enthal-ten. Diese gesetzlichen Auskunfts- und Vorlageverweigerungs-rechte können nicht durch privatrechtliche Vereinbarungen er-weitert werden. […]

▶ hh) Diese Grundsätze gelten auch für elektronisch gespei-cherte, Dritte betreffende Daten, auf die der Auskunftspflich-tige berechtigterweise zugreifen kann.

Die in §§ 11 bis 15a TMG enthaltenen Vorschriften über den Da-tenschutz gelten nach § 1 Abs. 2 TMG nicht für den Bereich der Besteuerung. Zivilrechtliche Vereinbarungen, nach denen diese Daten geheim zu halten sind, führen nicht dazu, dass sie dem Auskunftspflichtigen nicht i.S. des § 93 Abs. 3 S. 2 AO zur Ver-fügung stehen. Die Rechtmäßigkeit eines Auskunftsersuchens hängt in einem solchen Fall nicht davon ab, dass der Auskunfts-verpflichtete im Verhältnis zu seinen Vertragspartnern berechtigt ist, auf die Daten, in die er zur Erfüllung seiner vertraglich verein-barten Aufgaben oder Pflichten Einsicht nehmen kann und darf, gerade auch zur Erteilung von Auskünften an Finanzbehörden gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 AO zuzugreifen.

▶ Vielmehr muss er die ihm eröffneten Möglichkeiten zum Zu-griff auf die Daten auch zur Erfüllung von Auskunftsersuchen von Finanzbehörden nutzen, soweit diese Auskunftsersuchen im Übrigen rechtmäßig, also insbesondere erforderlich, ver-hältnismäßig und zumutbar sind.

b) Auskunftsersuchen nach § 93 Abs. 1 S. 1 AO, auch Sammel-auskunftsersuchen der hier vorliegenden Art, darf auch die Steu-erfahndungsstelle zur Ermittlung eines Sachverhalts im Rahmen ihres Aufgabenbereichs ausbringen. Zu diesem Aufgabenbereich gehört nach § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO die Aufdeckung und Er-mittlung unbekannter Steuerfälle (§ 208 Abs. 1 S. 2 AO; BFH-Urteil vom 16. Januar 2009 VII R 25/08, BFHE 224, 201, BStBl II 2009, 582). § 93 Abs. 1 S. 3 AO, wonach andere Personen als die Beteiligten erst dann zur Auskunft angehalten werden sollen, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht, gilt gemäß § 208 Abs. 1 S. 3 AO nicht, wenn die Steuerfahndung im Rahmen ihrer Aufga-ben nach § 208 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 und 3 AO tätig wird, also bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in den in § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO bezeichneten Fällen (Erforschung von Steuerstraf-taten und Steuerordnungswidrigkeiten) und bei der Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle (vgl. BFH-Urteil vom 24. März 1987 VII R 30/86, BFHE 149, 404, BStBl II 1987, 484, unter 2.). Wie sich aus dem Wortlaut dieser Vorschriften ergibt, beschränkt sich die Tätigkeit der Steuerfahndung nicht auf die

Ermittlung (möglicher) Steuerpflichtiger. Sie erstreckt sich viel-mehr auch auf die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen bei bisher unbekannten steuerlichen Sachverhalten (BFH-Beschluss vom 21. März 2002 VII B 152/01, BFHE 198, 42, BStBl II 2002, 495, unter II.2.b aa, c aa, m.w.N.).2. Das FG hat aus den von ihm getroffenen Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) zu Unrecht geschlossen, dass das Auskunftsersuchen des FA vom 10. Mai 2010 deshalb rechtswidrig sei, weil die Kläge-rin die erbetenen Auskünfte aus tatsächlichen Gründen nicht er-teilen könne, da sie keine eigenen Zugriffsrechte auf die zur Be-antwortung des Auskunftsersuchens erforderlichen elektronisch gespeicherten Daten habe und ihr diese deshalb nicht i.S. des § 93 Abs. 3 S. 2 AO zur Verfügung stünden.

Wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungs-gründe, insbesondere auch aus der Bezugnahme auf das Vorbrin-gen der Klägerin ergibt, hat das FG nicht in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass die Klägerin aus technischen Gründen nicht auf die Daten zugreifen könne. Die Vorentscheidung ist vielmehr da-hingehend zu verstehen, dass das FG die Möglichkeit der Kläge-rin, auf die Daten zuzugreifen, wegen der vereinbarten Geheim-haltungspflichten verneint hat. Dabei handelt es sich nicht um ei-ne tatsächliche Feststellung, sondern um eine im Revisionsver-fahren uneingeschränkt zu überprüfende Rechtsansicht.

Hätte jedoch das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass die Klägerin aus technischen Gründen nicht auf die Daten zu-greifen könne, wäre diese Feststellung für den BFH nicht nach § 118 Abs. 2 FGO verbindlich. Die Feststellungen des FG wären dann nämlich in sich widersprüchlich, lückenhaft und unklar (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 2009 IV R 45/06, BFHE 225, 334, BStBl II 2009, 902, unter II.2., m.w.N.). Das FG hat nämlich nicht festgestellt und es ist auch nicht erkennbar, wie die Klägerin oh-ne technische Zugriffsmöglichkeit auf die Daten in der Lage ge-wesen sein soll, die ihr nach dem Datenverarbeitungsvertrag vom 1. Mai 2006 obliegenden umfassenden, auf die verarbeiteten Da-ten bezogenen Aufgaben zu erfüllen. Der Datenverarbeitungsver-trag geht zudem in seinem Wortlaut davon aus, dass Mitarbeiter der Klägerin Zugriff auf die personenbezogenen Daten haben. Da die Klägerin als juristische Person keine tatsächlichen Hand-lungen ausführen kann, sind ihr die Zugriffsmöglichkeiten ih-rer Geschäftsführer und Mitarbeiter zuzurechnen. Die im Daten-verarbeitungsvertrag von der Klägerin übernommene Verpflich-tung, die personenbezogenen Daten der S auf Anfrage zugäng-lich zu machen, deutet ebenfalls darauf hin, dass nicht S, sondern die Klägerin selbst über die technischen Zugriffsmöglichkeiten auf die Daten verfügt. Auch die vertraglichen Regelungen über die Rechtsfolgen der Kündigung des Datenverarbeitungsvertrags sprechen dafür, dass die Klägerin die personenbezogenen Daten selbst nutzt und sich diese in ihrem Besitz oder ihrer Kontrolle befinden. Andernfalls könnte die Klägerin die Nutzung der Da-ten nicht beenden und sie auch nicht an S zurückgeben.

▶ Dass die Daten auf ausländischen Servern gespeichert sind, steht der Auskunftserteilung an das FA in technischer Hin-sicht nicht entgegen, soweit die Klägerin auf die Daten im Rahmen der ihr nach dem Datenverarbeitungsvertrag oblie-genden Aufgaben und Pflichten zugreifen kann.

b) Die Rechtsansicht des FG, die vom FA angeforderten Daten stünden der Klägerin wegen der mit M und S sowie deren Kun-den vereinbarten Geheimhaltungspflichten nicht zur Verfügung, ist unzutreffend.

DuD • Datenschutz und Datensicherheit 4 | 2014 271

DUD RECHT

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▶ Diese Geheimhaltungspflichten entfalten gegenüber der Fi-nanzverwaltung keine Wirkung und brauchen daher von der Klägerin insoweit nicht beachtet zu werden.

Die personenbezogenen Daten, auf die die Klägerin im Rahmen der Erfüllung der ihr nach dem Datenverarbeitungsvertrag vom 1. Mai 2006 obliegenden Aufgaben und Pflichten zugreifen kann, stehen ihr demgemäß zur Auskunftserteilung i.S. des § 93 Abs. 3 S. 2 AO zur Verfügung.3. Da das FG von einer anderen Ansicht ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif.a) Das FG hat noch keine Feststellungen zu den technischen Möglichkeiten der Klägerin zum Datenzugriff im Rahmen der ihr nach dem Datenverarbeitungsvertrag vom 1. Mai 2006 oblie-genden Aufgaben und Pflichten und bezogen auf die Jahre 2007 bis 2009 getroffen. […]b) Das FG hat ferner noch keine hinreichenden Feststellungen ge-troffen, um beurteilen zu können, ob die Voraussetzungen für ein Sammelauskunftsersuchen erfüllt sind. […]

Die allgemeine, in jedwedem Zusammenhang nach der Lebens-erfahrung gerechtfertigte Vermutung, dass Steuern nicht selten verkürzt und steuerpflichtige Einnahmen oder Umsätze nicht er-klärt werden – insbesondere wenn die Entdeckungswahrschein-lichkeit gering ist –, genügt in diesem Zusammenhang nicht, um die Ermittlungsmaßnahmen des FA als „hinreichend veranlasst“ und nicht als Ausforschung „ins Blaue hinein“ erscheinen zu las-sen. Vielmehr ist eine über die bloße allgemeine Lebenserfahrung hinausgehende, erhöhte Entdeckungswahrscheinlichkeit Voraus-setzung eines Sammelauskunftsersuchens. Es müssen also hin-reichende, konkrete Anhaltspunkte bestehen, welche die Aufde-ckung steuererheblicher Tatsachen in besonderem Maße wahr-scheinlich erscheinen lassen (BFH-Urteil in BFHE 224, 201, BStBl II 2009, 582). […]c) Kommt das FG auf der Grundlage der nachzuholenden Fest-stellungen zu dem Ergebnis, dass für das Sammelauskunftser-suchen ein hinreichender Anlass bestand, wird ferner zu prüfen sein, ob das Sammelauskunftsersuchen dem Grunde nach und hinsichtlich des Umfangs der angeforderten Daten erforderlich, verhältnismäßig und zumutbar ist.aa) Gerade bei sog. Vorfeldermittlungen gemäß § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO ist zu berücksichtigen, ob der durch ein Sammelaus-kunftsersuchen ausgelöste Ermittlungsaufwand bei der Aus-kunftsperson in einem angemessenen Verhältnis zu der Bedeu-tung der Angelegenheit steht, insbesondere zu dem von den Er-mittlungen zu erwartenden fiskalischen Ertrag; anderenfalls wä-re der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt, der nicht nur ver-langt, dass Auskunftsersuchen geeignet sind, das von der Finanz-behörde (rechtmäßig) festgelegte Ziel zu erreichen, und das die Belange des Auskunftspflichtigen am besten schonende Mittel zur Erreichung dieses Ziels zu wählen, sondern dass solche Er-suchen auch verhältnismäßig im engeren Sinne sind, also dem Auskunftspflichtigen auch unter Berücksichtigung der betroffe-nen Belange der Allgemeinheit nichts Unzumutbares abverlangt wird (BFH-Urteil in BFHE 224, 201, BStBl II 2009, 582).bb) Das FG wird auch insoweit die erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben. Dabei wird auch dem Vorbringen der Klä-gerin nachzugehen sein, das FA könne die angeforderten Daten selbst im Internet ermitteln. Dabei wird es zum einen darauf an-kommen, ob es sich dabei um legale Möglichkeiten handelt. Zum anderen ist zu beachten, dass die von der Klägerin angesproche-ne Möglichkeit manueller Einzelabfragen hinsichtlich der einzel-

nen Nutzer der Internethandelsplattform durch das FA wegen der hohen Zahl der Abfragen im Rahmen der Verhältnismäßigkeits-prüfung kein praktikables alternatives Mittel zur Sachverhaltser-mittlung ist (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 118, 168, BStBl II 2007, 896, unter C.I.3.c).

▶ Ein Auskunftsersuchen der Steuerfahndung wäre im Regel-fall nur dann als nicht notwendig bzw. als unverhältnismä-ßig und unzumutbar zu werten, wenn die Steuerfahndung von einem Dritten Auskünfte fordern würde, die sie auf an-dere Weise einfacher und ohne größere Belastung Dritter er-langen könnte

(BFH-Urteil in BFHE 149, 404, BStBl II 1987, 484, unter 2.). Wie der BFH bereits entschieden hat, kann die Steuerfahndung von ei-ner Tageszeitung die Benennung der Inserenten von zwei Chiffre-Anzeigen fordern, ohne sich zunächst selbst über Chiffre an die unbekannten Inserenten zu wenden (BFH-Urteil in BFHE 148, 108, BStBl II 1988, 359, unter II.4.c). Die Klägerin kann das FA somit erst recht nicht auf eine Vielzahl von Einzelabfragen ver-weisen.

Im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit und Verhältnismä-ßigkeit des Auskunftsersuchens werden auch die geschäftlichen Interessen der Klägerin zu berücksichtigen und gegen die durch die Ermittlungstätigkeit des FA zu wahrenden Rechtsgüter der Allgemeinheit (oben II.1.a bb und cc) abzuwägen sein (vgl. BFH-Urteile in BFHE 148, 108, BStBl II 1988, 359, unter II.4.e, 5.a, und in BFHE 149, 404, BStBl II 1987, 484, unter 3.b; BFH-Beschluss in BFHE 198, 42, BStBl II 2002, 495, unter II.2.c bb). Bei dieser Ab-wägung wird auch zu bedenken sein, dass die Daten, die die Klä-gerin dem FA aufgrund des Auskunftsersuchens übermittelt, dem Steuergeheimnis (§ 30 AO) unterliegen und daher die von der Ab-frage betroffenen Nutzer der Internethandelsplattform durch die Offenbarung der Daten gegenüber dem FA im Regelfall abgese-hen von den möglichen steuerlichen und steuerstrafrechtlichen Folgen nicht belastet werden.

▶ Das etwaige Vertrauen der betroffenen Nutzer darauf, dass aufgrund der durch die Verwendung von Pseudonymen weit-gehend gewährleisteten Anonymität der Verkaufsvorgänge Steuern gefahrlos verkürzt werden könnten, ist nicht schutz-würdig.

d) Im Hinblick auf die Abfrage der Konto- und Kreditkartenda-ten durch das FA beruft sich die Klägerin zu Unrecht auf § 30a AO. Zum einen gilt diese Vorschrift nur in Bezug auf die Kun-den von Kreditinstituten bzw. – so die Überschrift – von Bank-kunden.

▶ Zum anderen hat § 30a AO auch in Bezug auf Kreditinstitu-te seine Bedeutung weitgehend verloren.

§ 30a Abs. 3 AO, wonach die Guthabenkonten oder Depots, bei deren Errichtung eine Legitimationsprüfung nach § 154 Abs. 2 AO vorgenommen worden ist, anlässlich der Außenprüfung bei einem Kreditinstitut nicht zwecks Nachprüfung der ordnungs-gemäßen Versteuerung festgestellt oder abgeschrieben werden dürfen und die Ausschreibung von Kontrollmitteilungen inso-weit unterbleiben soll, ist nach der Rechtsprechung des BFH (Ur-teil vom 9. Dezember 2008 VII R 47/07, BFHE 224, 1, BStBl II 2009, 509) dahingehend auszulegen, dass bezüglich legitimati-onsgeprüfter Guthabenkonten und Depots Kontrollmitteilungen rechtmäßig sind, sofern im Einzelfall ein hinreichender Anlass für die Annahme besteht, dass weitere Ermittlungen zur Aufde-ckung steuererheblicher Tatsachen führen können. […]

272 DuD • Datenschutz und Datensicherheit 4 | 2014

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Die Bedeutung des § 30a AO wird ferner durch die Regelungen über die Kapitalertragsteuer (§§ 43 bis 45d des Einkommensteu-ergesetzes) und über den automatisierten Abruf von Kontoinfor-mationen (§ 93 Abs. 7 bis 10 und § 93b AO) weiter eingeschränkt.

▶ Wie das BVerfG im Übrigen bereits entschieden hat, haben die vom FA angeforderten Daten bezüglich der Bankverbin-dung bzw. Kreditkarten im Hinblick auf das Recht auf infor-mationelle Selbstbestimmung keine besondere Persönlich-keitsrelevanz. Die Kenntnis der Finanzbehörden von diesen Daten hat für sich genommen noch kein besonderes Gewicht für Privatheit oder Entscheidungsfreiheit des Betroffenen

(BVerfG-Beschluss in BVerfGE 118, 168, BStBl II 2007, 896, un-ter C.I.3.d cc (2)). Sie kann zwar das Risiko weiterer Ermittlungs-maßnahmen begründen. Dieses Risiko stellt aber angesichts der verfolgten Gemeinwohlbelange unter der Voraussetzung, dass das Auskunftsersuchen im Übrigen rechtmäßig ist, keine unan-gemessene Belastung für die Nutzer der Internethandelsplattform dar (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 118, 168, BStBl II 2007, 896, unter C.I.3.d cc (3)). […]

LSG Hessen: Elektronische Gesundheitskarte mit Lichtbild

1. Die Anforderung eines Lichtbilds für die Erstellung der elek-tronischen Gesundheitskarte entspricht den datenschutz-rechtlichen Regelungen und ist mit dem Grundrecht auf in-formationelle Selbstbestimmung vereinbar.

2. Das Allgemeininteresse an der Funktionsfähigkeit des Sach-leistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung ist im Verhältnis zu einer möglichen rechtlichen Betroffenheit der Versicherten als überwiegend anzusehen; dies gilt sowohl für die Anforderung eines Lichtbilds als auch für den Trans-port der Daten im Rahmen der Telematikinfrastruktur.(Orientierungssätze)

Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 26. September 2013, Az.: L 1 KR 50/13.

Zum Sachverhalt:Der Kläger ist bei der Beklagten versichert und erhielt von dieser die Aufforderung, für die Ausstellung der eGK sein Foto zur Ver-fügung zu stellen. Der Kläger wies darauf hin, dass er hierzu nicht bereit sei. Seine persönliche Identifizierung könne durch seinen Personalausweis erfolgen. Er widerspreche zudem der Speiche-rung und Weitergabe von persönlichen Krankendaten auf einer solchen Karte. Auch dürfe nur der Austausch von Daten zum Zweck der Abrechnung zwischen Arzt und Krankenkasse erfol-gen.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte zurück. Hier-gegen hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben.

Mit Urteil vom 23. Januar 2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Einführung der eGK einschließlich Lichtbild be-gegne mit der Entscheidung des Sozialgerichts Düsseldorf (Urteil vom 28. Juni 2012, S 9 KR 111/09), dem sich die Kammer vollum-fänglich anschließe, keinen rechtlichen Bedenken.

Der Kläger legte gegen das Urteil Berufung beim Hessischen LSG ein.

Aus den Gründen:Die zulässige Anfechtungs- und Leistungsklage ist nicht begründet.

Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 22. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2012 ist nicht rechtswidrig. Die Einführung der eGK mit Lichtbild verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten und dieser hat keinen An-spruch auf eine Versorgung mit Versicherungsleistungen durch die Beklagte in Form von Sachleistungen ohne eGK. […]

Die Anforderung eines Lichtbildes für die Erstellung der eGK entspricht als Maßnahme der Datenerhebung mit nachfolgender Datenspeicherung und Datennutzung auf der eGK durch die Be-klagte als verantwortliche Stelle i.S. von § 67a Abs. 1 SGB X i.V.m. § 35 SGB I den datenschutzrechtlichen Regelungen.

▶ Bei Lichtbildern handelt es sich um Sozialdaten im Sinne des § 67 Abs. 1 SGB X.

Danach sind Sozialdaten Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren na-türlichen Person (Betroffener), die von einer in § 35 SGB I genann-ten Stelle in Hinblick auf ihre Aufgaben nach diesem Gesetzbuch erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Hierzu zählen auch Lichtbilder (Gola/Schomerus, Bundesdatenschutzgesetz, Kom-mentar, 10. Auflage 2010, § 32 Rdnr. 14; das Bundesdatenschutz-gesetz findet neben den Regelungen des Zweiten Kapitels SGB X zum Sozialdatenschutz subsidiäre Anwendung; Bieresborn in: von Wulffen, SGB X, Kommentar, 7. Auflage 2010 § 67 Rn. 7 für das äu-ßere Erscheinungsbild). Zu den „Aufgaben nach diesem Gesetz-buch“ gehören u.a. die typischen Aufgaben der sozialen Sicherung, die vor allem das Versicherungsverhältnis, die Gewährung von So-zialleistungen und ihre Finanzierung betreffen.

Nach § 67a Abs. 1 SGB X ist das Erheben von Sozialdaten durch in § 35 SGB I genannte Stellen zulässig, wenn ihre Kenntnis zur Er-füllung einer Aufgabe der erhebenden Stelle nach diesem Gesetz-buch erforderlich ist. Das Speichern, Verändern oder Nutzen von Sozialdaten durch die in § 35 SGB I genannten Stellen ist zulässig, wenn es zur Erfüllung der in der Zuständigkeit der verantwortli-chen Stelle liegenden gesetzlichen Aufgaben nach diesem Gesetz-buch erforderlich ist und es für die Zwecke erfolgt, für die die Da-ten erhoben worden sind, § 67c Abs. 1 SGB X. Die Krankenkassen dürfen Sozialdaten für Zwecke der Krankenversicherung nur erhe-ben und speichern, soweit diese u.a. für die Ausstellung der elektro-nischen Gesundheitskarte erforderlich sind, § 284 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

Um das Funktionieren der Inanspruchnahme von Sachleis-tungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährleisten, ist die strittige Datenerhebung, -speicherung und -nutzung erforderlich. Der Versicherte kann bei Vorlage der Krankenversichertenkarte und ihr nachfolgend der eGK ge-genüber dem Vertragsarzt direkt Sachleistungen ohne vorherige Antragstellung bei der Krankenkasse nach § 19 SGB IV in An-spruch nehmen, § 15 Abs. 2 SGB V. Der Arzt ist dann grundsätz-lich zur Behandlung verpflichtet, § 13 Bundesmantelvertrag-Ärz-te (BMV-Ä) und § 13 Abs. 6 Bundesmantelvertrag Ärzte/Ersatz-kassen (EKV-Ä). Die Krankenversichertenkarte und ihr nachfol-gend die eGK dienen dabei u.a. dem Nachweis für die Berechti-gung zur Inanspruchnahme von Leistungen gegenüber den ärzt-lichen und zahnärztlichen Leistungserbringern und ermöglicht diesen die Identifizierung des Patienten (vgl. Bundessozialgericht, Urteile vom 17. April 1996, 3 RK 19/95 und vom 12. Juni 2008, B 3 KR 19/07 R -juris-; BT-Drs. 17/2170 S. 38).

▶ Diese Identifizierungsfunktion wird im notwendigen Um-fang durch die Aufnahme eines Lichtbildes ermöglicht, um der in verschiedenste Richtungen denkbaren missbräuchli-

DuD • Datenschutz und Datensicherheit 4 | 2014 273

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Page 7: DuD Recht

chen Verwendung der Karte im Rahmen der Erfordernisse einer Massenverwaltung entgegenzuwirken.

Denn der gutgläubige Leistungserbringer genießt bei Vorlage der Krankenversichertenkarte Vertrauensschutz (BT-Drs. 11/3480, S. 68 f.). Nach § 19 Abs. 7 BMV-Ä und § 8 Abs. 5 Bundesman-telvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) haftet die Krankenkasse zudem für die Kosten einer Behandlung, die aufgrund einer vorgeleg-ten falschen Krankenversichertenkarte oder eines anderen Be-handlungsausweises erfolgte. Dem entspricht im Weiteren der mit Wirkung ab dem 1. April 2007 durch das Gesetz zur Stär-kung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG vom 26. März 2007, BGBl I 2007, 378) eingeführte S. 2 des § 15 Abs. 6 SGB V. Dieser verpflichtet die Krankenkassen, er-gänzend zu den bisherigen Regelungen in § 291 Abs. 1 und Abs. 2 SGB V (u.a.: Lichtbilderfordernis) durch weitere geeignete Maß-nahmen einer missbräuchlichen Verwendung der Karte (u.a.: Nutzung der Karte durch mehrere Personen) entgegenzuwirken. So können die Krankenkassen von den Leistungserbringern ver-langen, dass stichprobenweise neben der Vorlage der Kranken-versichertenkarte die Vorlage anderer Ausweispapiere (Personal-ausweis, Reisepass, Führerschein) gefordert wird (Didong, a.a.O., § 15 SGB V Rdnr. 28 f.; BT-Drs. 16/3100, S. 97).

Der Kläger ist durch den verbindlichen Inhalt der eGK in Form des geforderten Lichtbildes auch nicht in seinem Recht auf in-formationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 GG verletzt. Zwar wurzelt das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Bürgers im allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Grundrecht auf Menschenwürde und gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (BVerfGE 65, 1, 41 f.; 56, 37, 41 ff.; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu, Grundgesetz, Kommen-tar, 11. Auflage 2008, Art. 2, Rdnr. 26 ff.; Leibholz/Rinck, Grund-gesetz, Kommentar zur Rechtsprechung des Bundesverfassungs-gerichts, Stand: Oktober 2012, Art. 2 Rdnr. 105 f.).

▶ Der Einzelne hat jedoch kein Recht im Sinne einer absoluten, uneinschränkbaren Herrschaft über „seine“ Daten. Er ist viel-mehr eine sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfal-tende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit. In-formationen, auch soweit sie personenbezogen sind, stellen ein Abbild sozialer Realität dar, das nicht ausschließlich den Betroffenen allein zugeordnet werden kann.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verlangt in-soweit, dass die Einschränkung des Rechts von hinreichenden Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt wird, das gewähl-te Mittel zur Erreichung des Zwecks geeignet und erforderlich ist und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Ein-griffs und dem Gewicht der rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt ist (BVerfGE 65, 1, 43 f.; 71, 196 f.; 78, 85; Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 13. Februar 2006, 1 BvR 1184/04 – elektronische Gesundheitskar-te – juris –). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

Vorliegend ist das Allgemeininteresse an einer Funktionsfähig-keit des Sachleistungssystems der gesetzlichen Krankenversiche-rung im Verhältnis zu einer rechtlichen Betroffenheit des Klägers als überwiegend anzusehen.

▶ Dieses kann im Rahmen der Massenverwaltung nur funktio-nieren, wenn die in § 15 Abs. 2 SGB V vorgesehene Verfah-rensweise auch von allen Versicherten der gesetzlichen Kran-kenversicherung in Anspruch genommen wird

(so auch: Sozialgericht Düsseldorf, Urteil vom 28. Juni 2012, S 9 KR 111/09; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. November 2012, L 11 KR 4746/12 ER-B). Auf die obigen Ausführungen nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederho-lungen insoweit Bezug. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem verbindlichen Inhalt der eGK in Form des geforder-ten Lichtbildes gerade nicht um „besondere Arten personenbe-zogener Daten“ im Sinne des § 67 Abs. 12 SGB X handelt, die be-züglich der Datenerhebung im Blick auf die Einwilligung der Be-troffenen besonderen Voraussetzungen unterliegen, § 67a Abs. 1 S. 4 SGB X. Besondere Arten personenbezogener Daten sind u.a. Angaben über die Gesundheit.

Der über das Lichtbild hinausgehende, weitere verbindliche In-halt der eGK im Umfang des § 291a Abs. 2 S. 1 1. HS SGB V i.V.m. § 291 Abs. 2 S. 1 1. HS SGB V wird von dem Kläger ausdrücklich nicht angegriffen.

Soweit der Kläger sich gegen die in § 291a Abs. 2 S. 1 2. HS SGB V und § 291a Abs. 3 S. 1 SGB V vorgesehenen Anwendungsmög-lichkeiten der eGK wendet, ist für den Senat keine Verletzung von Rechten des Klägers erkennbar. […]

Bereits das Erheben als auch das Verarbeiten und Nutzen von Daten mittels der eGK ist in den Fällen des § 291a Abs. 3 S. 1 SGB V nur mit dem Einverständnis der Versicherten zulässig, § 291a Abs. 5 S. 1 SGB V. Diese Einwilligung hat der Kläger aber gera-de nicht erteilt. Mit dem Erheben, Verarbeiten und Nutzen von Daten der Versicherten nach § 291a Abs. 3 SGB V darf zudem erst begonnen werden, wenn die Versicherten jeweils gegenüber dem Arzt, Zahnarzt, Psychotherapeuten oder Apotheker dazu ih-re Einwilligung erklärt haben. Soweit der Kläger ausführt, dass er schon der Speicherung einer Widerspruchserklärung auf der Karte nicht zustimme, verkennt er, dass systemimmanent nur die Einwilligungserklärung auf der Karte dokumentiert wird. Le-diglich die Einwilligung ist bei der ersten Verwendung der Kar-te vom Leistungserbringer oder unter dessen Aufsicht von einer Person, die bei dem Leistungserbringer oder in einem Kranken-haus als berufsmäßiger Gehilfe oder zur Vorbereitung auf den Beruf tätig ist, auf der Karte zu dokumentieren, § 291a Abs. 3 S. 4 bzw. S. 5 SGB V.

▶ Dies entspricht den datenschutzrechtlichen Bestimmungen bezüglich der besonderen Arten personenbezogener Daten (Gesundheit) im Sinne des qualifizierten Einwilligungser-fordernisses, § 67a Abs. 1 S. 4 SGB X und damit dem Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts des Klägers.

Mangels einer rechtlichen Betroffenheit des Klägers kann die von dem Kläger auch unter dem Aspekt des Datenschutzes begehrte umfassende Überprüfung der Vorschrift, die sich mit der Erhe-bung, Verwendung und Nutzung freiwilliger Daten beschäftigt, nicht erfolgen (vgl.: Sozialgericht Düsseldorf, Urteil vom 28. Ju-ni 2012, S 9 KR 111/09; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. November 2012, L 11 KR 4746/12 ER-B; Bun-desverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 13. Februar 2006, 1 BvR 1184/04 – elektronische Gesundheitskarte – juris –).

Soweit der Kläger sich durch die Online-Funktionen der eGK im Sinne des Zwangs zur Teilnahme am Internet und einer poten-tiellen Ausspähung seiner Daten im Internet beeinträchtigt sieht, kann der Senat entsprechend den oben dargestellten Grundsät-zen gleichfalls keine Rechtsverletzung erkennen.

▶ Die eGK verfügt derzeit über keine weiteren Funktionen als die Krankenversichertenkarte.

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Nach § 291 Abs. 2b SGB V sind die Krankenkassen zwar ver-pflichtet, Dienste anzubieten, mit denen die Leistungserbrin-ger die Gültigkeit und die Aktualität der Daten nach Abs. 1 und Abs. 2 (administrative Daten) bei den Krankenkassen online überprüfen und auf der eGK aktualisieren können. Diese On-line-Funktion der eGK ist zum einen, worauf die Beklagtenver-treterin im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 26. Sep-tember 2013 hingewiesen hat, derzeit (noch) nicht gegeben. Die Telematikinfrastruktur, also die Datenautobahn, über die die Pa-tientendaten auf der eGK zu den Akteuren im System gelangen sollen, wird derzeit durch die gematik (Gesellschaft für Telema-tikanwendungen der Gesundheitskarte) entsprechend den Vor-gaben des § 291b SGB V aufgebaut. Es steht vorerst nach Ertei-lung des Zuschlags in dem Verfahren nach § 291b Abs. 1b SGB V der so genannte OnlineRollout im Sinne einer Erprobung an. Im Fokus stehen dabei Praxistauglichkeit, Datenschutz, Interopera-bilität, Kompatibilität, Stabilität und Sicherheit der Telematikin-frastruktur (Elmer, Der OnlineRollout nimmt Fahrt auf in: er-satzkasse magazin, 2013 Nr. 1/2, S. 30; Zöpfgen, Die elektronische Gesundheitskarte tanzt den Echternacher Pilgerschritt in: Kom-pass, 3/4 2013, S. 3; Osterloh, Telematikinfrastruktur: Testbeginn in einem Jahr in: Deutsches Ärzteblatt, Jg. 110 Heft 39, S. 1778).

▶ Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch im Blick auf den Datentransport das überwiegende Allgemein-interesse an einer Funktionsfähigkeit des Sachleistungssys-tems der gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber einer möglichen rechtlichen Betroffenheit des Klägers als überwie-gend anzusehen ist.

▶ Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 291 Abs. 2b SGB V dient der neue Versichertenstammdatendienst der eGK im Wesentlichen der Verbesserung des Datenschutzes, der Miss-brauchsbekämpfung sowie der Wirtschaftlichkeit.

Durch die entsprechenden Online-Dienste werden ungültige so-wie als verloren oder gestohlen gemeldete Karten auch im Inte-resse des Versicherten unverzüglich erkannt und es kann z.B. be-züglich der auf der Karte befindlichen Notfalldaten eine automa-tische Sperrung erfolgen. Dabei betreffen die Dienste nur Daten, die für den Nachweis der Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung sowie für die Abrechnung mit den Leistungserbringern ohnehin verwendet werden. Damit wird auch für den Bereich der vertrags-ärztlichen Versorgung, für den nach § 291 Abs. 1 SGB V die Kar-te zum Nachweis der Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen dient, ein zeitgemäßes Verfahren entsprechend dem für den stationären Bereich bereits geltenden und praktizierten Verfahren der Kostenübernahmeerklärung eingerichtet (BT-Drs. 17/2170, S. 38, 39). Nach § 301 Abs. 1 SGB V sind die nach § 108 zugelassenen Krankenhäuser nämlich verpflichtet, den Kran-kenkassen bei Krankenhausbehandlung Angaben nach § 291 Abs. 2 Nr. 1 bis 10 (administrative Daten) sowie das kranken-hausinterne Kennzeichen des Versicherten im Wege elektroni-scher Datenübertragung oder maschinell verwertbar auf Daten-trägern zu übermitteln. Gemäß § 87 SGB V i.V.m. § 285 SGB V und § 44 Abs. 4 und Abs. 6 BMV-Ä erfolgt ein solcher Datenaus-tausch zwischen Leistungserbringern und Kassenärztlicher Ver-einigung (vgl. zum KV-SafeNet: http://www.kbv.de/publikatio-nen/43934.html).

Entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auf-fassung des Klägers handelt es sich bei dem (künftigen) Daten-transport auch nicht um einen solchen im Rahmen des sog. of-

fenen Internets. Dieser soll in einem quasi geschlossenen Intra-net des Gesundheitswesens erfolgen (Koch/Marx/Elmer, Infor-mationelle Selbstbestimmung und Patientensouveränität in ei-nem vernetzten Gesundheitswesen in: Datenschutz und Daten-sicherheit 3/2013, S. 131 ff. zum Stichwort Sicheres Netz der Kas-senärztlichen Vereinigungen mit spezifischer Anbindung KVSa-feNet bzw. sicherer Internetzugang). Dies entspricht den Vorga-ben des § 291b Abs. 1a SGB V. […]

Die von dem Kläger geäußerten Bedenken gegen einen Daten-transport können von dem Senat im derzeitigen Verfahrenssta-dium in ihrer Allgemeinheit nicht nachvollzogen werden. […]

OVG Rheinland-Pfalz: Auskunft über Telekommunikation

Für die Überwachung des „ruhenden“ E-Mailverkehrs im Be-reich der präventiven Gefahrenabwehr bedarf es einer beson-deren gesetzlichen Regelung. (Orientierungssatz)

Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 5. September 2013, Az.: 7 F 10930/13.OVG.

Aus den GründenDer Antrag auf richterliche Anordnung zur Ermöglichung einer Datenerhebung des Antragstellers über den Inhalt des E-Mail-Postfaches einer vermissten Person auf dem Mailserver der An-tragsgegnerin als Provider hat keinen Erfolg.

Gemäß § 31 Abs. 1 POG kann die Polizei personenbezogene Daten unter anderem durch Auskünfte über die Telekommunika-tion der nach §§ 4 und 5 POG Verantwortlichen und eines Nicht-verantwortlichen unter den Voraussetzungen des § 7 POG zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben einer Person erheben (Satz 1). Die Datenerhebung ist nur zulässig, so-weit sie zwingend erforderlich ist und nicht allein in den Kernbe-reich privater Lebensgestaltung im Sinne des § 39a Abs. 3 POG eingreift (Satz 2). Die Datenerhebung nach § 31 Abs. 1 POG kann sich auf Inhalte der Telekommunikation und auf Verkehrsdaten beziehen, bei Letzteren kann sich die Erhebung auch auf Zeiträu-me vor deren Anordnung erstrecken (§ 31 Abs. 2 POG). Dabei be-darf die Datenerhebung grundsätzlich der richterlichen Entschei-dung (§ 31 Abs. 4 POG). Zuständiges Gericht ist das Oberverwal-tungsgericht (§ 31 Abs. 5 S. 1 POG).

▶ Die Voraussetzungen für eine Datenerhebung liegen hier nicht vor. E-Mails, die auf dem Server eines Providers zwi-schen- oder endgespeichert sind, unterfallen nicht dem Be-griff der Telekommunikation im Sinne des § 31 POG.

Nach der Legaldefinition in § 3 Nr. 22 des Telekommunikations-gesetzes – TKG – in der Fassung des Gesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I. S. 1190) ist Telekommunikation der technische Vor-gang des Aussendens, Übermittelns und Empfangens von Sig-nalen (jeglicher Art, etwa in der Form von Zeichen, Sprache, Bil-dern oder Tönen) mittels Telekommunikationsanlagen (§ 3 Nr. 23 TKG). Von diesem Verständnis geht auch § 31 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 POG aus. Dafür spricht neben dem gleichlautenden Wort-laut die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Denn in den Ge-setzesmaterialien zu § 31 POG (LT-Drs. 15/4879, S. 31) in der nun-mehr geltenden Fassung des Landesgesetzes vom 15. Februar 2011 (GVBl. S. 26) heißt es: „Absatz 2 Satz 1 bestimmt, auf welche Art von Daten sich die Maßnahme nach Absatz 1 beziehen darf und

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enthält zwei Alternativen. Nach der ersten Alternative wird die Polizei wie bislang zur Überwachung von Inhalten der Telekom-munikation ermächtigt. Die zweite Alternative umfasst die Erhe-bung von Verkehrsdaten.“ Durch die Formulierung „wie bislang“ hat der rheinland-pfälzische Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass er sich hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „Telekommu-nikation“ an § 31 POG in der Fassung des Landesgesetzes vom 2. März 2004 (GVBl. S. 202) orientiert. Die Gesetzesbegründung zu dieser Norm (vgl. LT-Drs. 14/2287, S. 42 f.) nimmt insoweit je-doch gerade auf die vorgenannte Definition in § 3 Nr. 22 TKG Be-zug, wie die Wiedergabe des Inhalts der wortgleichen Vorschrift des § 3 Nr. 16 des Telekommunikationsgesetzes in der Fassung des Gesetzes vom 25. Juli 1996 (BGBl. I S. 1120) belegt. Sodann wird ausgeführt: „Telekommunikationsanlagen sind nach § 3 Nr. 17 TKG (Anm. des Senats: entspricht § 3 Nr. 23 TKG neuer Fas-sung) technische Einrichtungen oder Systeme, die als Nachrich-ten identifizierbare elektromagnetische oder optische Signale sen-den, übertragen, vermitteln, empfangen, steuern oder kontrollie-ren können. Damit wird jede nicht körperliche Nachrichtenüber-mittlung unabhängig davon, welche Geräte oder Verfahren zur Anwendung kommen, erfasst.“ Als zulässige Maßnahmen nen-nen die Materialien schließlich exemplarisch die Telefonüberwa-chung und das Abfangen von E-Mails.

▶ E-Mails können indes nur während eines Übertragungsvor-gangs abgefangen werden.

▶ Davon ausgehend ist es für die rechtliche Einordnung einer Überwachung der E-Mail-Kommunikation erforderlich, das Versenden elektronischer Nachrichten über das Internet aus technischer Sicht in vier Phasen zu unterteilen:

In einem ersten Schritt werden die jeweiligen Nachrichten vom Rechner des Absenders, auf dem die eigentliche Mail erstellt wur-de, über den Internet-Provider des Absenders auf den Mailserver des Internet-Anbieters übertragen, bei dem der Adressat registriert ist und dort über sein elektronisches „Postfach“ (Mailbox) verfügt. Dort werden die Daten in der zweiten Phase auf der Festplatte des jeweiligen Mailservers im für den Empfänger eingeräumten Spei-cherplatz in verkörperter Form jedenfalls solange gespeichert, bis der Adressat in einer dritten Phase die ihn betreffenden Nachrich-ten abruft. Die Abholung der E-Mails durch den Empfänger ge-schieht dabei hauptsächlich auf drei Wegen: Er kann die Nachricht auf sein Gerät (durch ausdrücklichen Befehl) übertragen bzw. (bei einer permanenten Internetverbindung) automatisch übermitteln lassen, je nach Art und Einstellung des Übertragungsprotokolls wird diese dann auf seiner Mailbox gelöscht. Er kann darüber hi-naus – insbesondere bei einem Firmen-PC – die Nachricht nur in der Mailbox lesen und dann dort für den Zugriff durch andere Per-sonen gespeichert lassen. Zunehmend verbreitet ist als dritte Mög-lichkeit die Webmail. Hier hat der Teilnehmer eine Mailbox auf ei-nem speziellen Mailserver, auf den er von jedem Zugangspunkt aus – ohne Zwischenspeicherung – über das Internet auf seine Nach-richten zugreifen kann, ohne sie herunterladen zu müssen. Auf die-sem Mailserver ist die Nachricht damit schon bei dem Empfänger „angekommen“. Zudem bieten die Mailserver auch das Herausfil-tern von unerwünschten E-Mails an, die der Empfänger schon aus Sicherheitsgründen in der Regel gar nicht erst öffnet. Über solche Dienste können auch über entsprechende Internetseiten direkt E-Mails und andere Nachrichten versandt werden. Eine vierte Pha-se ist schließlich anzunehmen, falls die abgerufenen Nachrichten – soweit sie vom Empfänger nicht unmittelbar nach Eingang ge-löscht wurden – weiterhin auf seinem Rechner oder im Postfach

des Providers gespeichert bleiben (vgl. Bär, in: KMR-Kommentar zur Strafprozessordnung, § 100a Rn. 27; Nack, in: Karlsruher Kom-mentar zur Strafprozessordnung, 6. Auflage 2008, § 100a Rn. 22 f.).

Vor diesem Hintergrund findet in der ersten und dritten Pha-se, also der Übertragung der Nachricht vom Rechner des Absen-ders über seinen Provider zum Mailserver des Internet-Anbie-ters, bei dem der Empfänger sein elektronisches Postfach hat, so-wie während des Abrufs der Nachrichten durch den Empfänger eine Telekommunikation statt, die folglich auf der Grundlage des § 31 POG überwacht werden kann, wenn die sonstigen Voraus-setzungen erfüllt sind.

Anders verhält es sich jedoch bei einem beabsichtigten Zugriff auf E-Mails, die – wie im vorliegenden Fall – auf dem Mailser-ver des Providers zwischen- oder endgespeichert sind (zweite und vierte Phase).

▶ Unabhängig davon, ob der Empfänger diese bereits gelesen hat oder sie noch ungelesen im Postfach aufbewahrt werden, ist während der möglicherweise auch nur Sekundenbruch-teile andauernden Speicherung in der Datenbank des Mail-providers kein Telekommunikationsvorgang (mehr) gegeben

(so ausdrücklich BGH, Beschluss vom 31.  März 2009 –1 StR 76/09 –, juris zur Auslegung des Begriffs Telekommuni-kation in § 100a StPO unter Hinweis auf Nack, a.a.O., § 100a Rn. 22 f.; Graf, in: BeckOK-StPO, § 100a Rn. 28 ff.; Bär, a.a.O., § 100a Rn. 29). Für eine erweiternde Auslegung des Tatbestandsmerk-mals Telekommunikation auch in derartigen Fällen (so im Ergeb-nis LG Hamburg, Beschluss vom 8. Januar 2008 – 690 Qs 1/08 –, wistra 2008, 116; a. A. BGH, a.a.O.) ist nach allem ebenso wenig Raum wie für eine analoge Anwendung des § 31 POG.

Demgegenüber kann der Antragsteller nicht mit seinem Ein-wand durchdringen, die auf dem Mailserver des Providers vor-handenen E-Mails seien durch das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 Abs. 1 GG geschützt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2009 – 2 BvR 902/06 –, BVerfGE 124, 43), so dass auch in einem sol-chen Fall eine Telekommunikation stattfinde.

▶ Die konkrete Ausgestaltung der jeweils im Einzelfall ein-schlägigen Eingriffsbefugnis ist nämlich grundsätzlich dem (einfachen) Gesetzgeber überlassen (Art. 10 Abs. 2 S. 1 GG), solange er den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundrechts aus Art. 10 Abs. 1 GG Rechnung trägt.

Innerhalb der sich daraus ergebenden Vorgaben bleibt es ihm un-benommen, nur auf bestimmte Kommunikationsvorgänge Zu-griff zu nehmen und deren Reichweite selbst zu bestimmen. Ge-rade dies hat er in § 31 POG durch das ausschließliche Anknüpfen an das im Verhältnis zum Begriff des Fernmeldegeheimnisses en-gere Tatbestandsmerkmal der Telekommunikation, das statische Zustände eben nicht erfasst, in zulässiger Weise getan.

▶ Für die Überwachung des „ruhenden“ E-Mailverkehrs im Be-reich der präventiven Gefahrenabwehr bedarf es deshalb ei-ner besonderen gesetzlichen Regelung.Als Rechtsgrundlagen für die von dem Antragsteller beantrag-

te Anordnung kommen im Übrigen die polizeiliche Generalklau-sel des § 9 POG sowie eine Sicherstellung nach § 22 POG schon deshalb nicht in Betracht, weil darin der Anlass, der Zweck und die Grenzen des Eingriffs in Artikel 10 Abs. 1 GG nicht bereichs-spezifisch und präzise bestimmt sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1999 – 1 BvR 2226/94 u.a., BVerfGE 100, 313; Beschluss vom 16. Juni 2009, a.a.O.).

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