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42 APRIL 2013 SINÉAD O’CONNOR Frühstück bei Sinéad SIE ist für ihre Auszucker mindestens so berühmt wie für ihre Musik. Vor ihrem Wien-Konzert am 28. April lud uns die irische Ausnahmesängerin zu einem ihrer raren Interviews nach Hause ein und ließ im Talk weder ihren Selbstmordversuch noch ihre Ehemänner oder die Liebe zum Heiligen Geist aus. INTERVIEW, TEXT Heidi Rietsch FOTOS Christina Karagiannis WIENERINPEOPLE w04_people portrait_sinead+++_WIRSIND_korr-bf.indd 1 18.03.2013 17:57:42

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SINÉAD O’CONNOR

Frühstück bei Sinéad

SIE ist für ihre Auszucker mindestens so berühmt wie für ihre Musik. Vor ihrem Wien-Konzert am 28. April lud uns die irische

Ausnahmesängerin zu einem ihrer raren Interviews nach Hause ein und ließ im Talk weder ihren Selbstmordversuch noch ihre

Ehemänner oder die Liebe zum Heiligen Geist aus.

INTERVIEW, TEXT Heidi RietschFOTOS Christina Karagiannis

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Vierzig Zugminuten von Dublin ent-fernt stehe ich vor dem Bahnhof des Küstenstädtchens Bray. „Wo geht’s denn hier zum

Haus von Sinéad O’Connor?“, erkun-dige ich mich bei einem Grüppchen Taxifahrer. „Du machst ein Inter-view mit Sinéad O’Connor?“, interes-siert sich der Typ mit dem Guiness-Bierbauch. „Viel Glück! Ho% entlich hat sie ihre Medikamente genom-men.“ Ein anderer zeigt die Straße runter in Richtung Uferpromenade. Als ich mich zum Gehen wende, fl üs-tert ein kleiner Zahnloser, den Blick auf seine Schuhe gerichtet: „Sie hat das schönste Paar Augen.“

HÖHENANGST. Sinéad O’Connor ist Irlands kontroverses National-heiligtum: die Wahnsinnige mit dem rasierten Schädel und dem intensiven Blick. 1990 bekam sie diesen Stempel aufgedrückt. Ihr Welthit Nothing Compares 2 U und das preisgekrönte Video dazu – die Augen, riesengroß und verletzlich erschienen sie am Bildschirm, der krasse Gegensatz zur Stoppelglatze – hatten die damals 24-jährige Alternative-Musikerin in eine Rolle gedrängt, an der sie schei-tern musste: die des internationalen Superstars. Von da an schwankte O’Connor zwischen brutaler O% en-heit und verletztem Rückzug, Selbst-mordversuch inklusive. Sie zerriss ein Bild des Papstes, erklärte sich zur Lesbe und überlegte es sich wieder anders, legte sich mit der Politik an und ließ Journalisten gegenüber mit-unter die Fäuste sprechen.

Entsprechend gespannt läute ich jetzt an der Tür von O’Connors weißem Haus mit den kurzen Rasta-Streifen an der Seite. Ho% ent-lich ist sie gut drauf, denke ich, und

Ständig in Bewegung spricht sie abwechselnd in ihr iPhone, zur Haus-hälterin und mit mir. Am Nachmit-tag soll sie nach Schweden fl iegen, noch längst nicht alles ist organi-siert. „Ich singe in einer Gameshow. Ist das nicht verdammt komisch?“ Im nächsten Moment bemerkt sie, dass ich mein Frühstück brav ver-putzt habe, lächelt und sagt: „Der Kleine kommt um eins aus der Schule. Sollen wir anfangen?“

Wir schnappen unsere Ka% ee-tassen und steigen die knarzenden Treppen hinauf in den ersten Stock. In dem alten Haus vermischt sich buntes Kinderspielzeug mit kitschi-gen Marienstatuen, Familienfotos mit Heiligenbildern. Wir knotzen in O’Connors „Lieblingszimmer“, einer spirituellen Welt aus fl u) gem Tep-pichboden, an die Wand gemalten,

„Wir waren wie Bruder und Schwester – und zu jung für ein Leben ohne Sex!“

SINÉAD O'CONNOR ÜBER DEN GRUND FÜR IHRE ERSTE SCHEIDUNG

Biografi e.Als drittes von fünf Kin-dern durchlebte die Irin eine schwierige Jugend.

Anfang 20 landete sie mit dem Prince-Cover Nothing Compares 2 U einen Welt-hit. Seither ließ die heute 46-Jährige weniger durch Musik als durch Skandale aufhorchen. Ihr aktuelles, neuntes Studioalbum How about I be me (and you be

you)? wird von Kritikern als Kehrtwende gefeiert. Am

28. April spielt sie im Wiener Konzerthaus.

murmle noch mal ihren Vornamen zur Übung: „Schinäid“.

HAUSBESUCH. Sie sieht noch aus wie damals im Video. Die Augen. Der rasierte Kopf. Etwa 1,60 Me-ter winzig ist sie, begrüßt mich mit einer faszinierenden Aura aus zar-ter Verletzlichkeit und vibrierender Stärke. Der Druck ihrer tätowierten Hand imponiert, ihr Blick ist gerade-aus und musternd, ihr Lächeln ver-schmitzt. „Ka% ee?“, erkundigt sich die 46-Jährige und geht vor in die ge-räumige Küche, die an einen verwil-derten Garten grenzt. „Der bräuchte Pfl ege“, murmelt sie entschuldigend und stellt mir bröselige Scones hin, dazu Butter und ein Glas mit Him-beermarmelade, die ihre 17-jährige Tochter selbst gemacht hat, wie sie stolz erzählt.

EXKLUSIVInterview

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schenkte ihr damals ihre erste Gitarre und förderte ihr musisches Talent. Mit 21 produzierte sie ihr erfolgreiches Debütalbum The Lion and The Cobra und bekam ihr erstes Kind von Schlagzeuger John Rey-nolds, den sie später heiratete.

Seitdem hat die Künstlerin weitere acht Alben verö% entlicht, insgesamt vier Männer geehelicht und eben-so viele Kinder bekommen: Jake, 25, ist Koch in London. Tochter Róisin, 17, Shane, 9, und Yeshua, 6, leben bei ihr in Bray. Baby Nummer eins und drei waren eine „willkommene Über raschung“, verrät O’Connor, die anderen seien geplant gewesen. Das Gerücht, sie habe Kinder verloren

oder abgetrieben und den Song Three Babies darüber geschrieben, sei da-gegen „völliger Schwachsinn“. Auch die Behauptung, sie habe ihr halbes Leben lang geso% en, stimme nicht: „Ich bin allergisch gegen Alkohol. Das kommt alles sofort wieder hoch. Toller Partytrick übrigens.“

HEIRATSSACHEN. Aber zurück zu den Männern. Warum sie immer wieder vor den Altar getreten sei, will ich wissen. O’Connor denkt nach, zündet sich die x-te Zigarette an und seufzt: „Aus romantischen Vorstellungen. Manchmal, wenn du etwas vermisst in deiner Kindheit, versuchst du es als Erwachsener zu kreieren – was selbstverständlich nicht funktioniert. Aber man proji-ziert alles Mögliche hinein in Dinge: Sicherheit und all diesen Scheiß.“

Sie spricht leise, hin und wieder lächelt sie oder blickt aus dem Fens-ter in ihren Garten, oft benutzt sie Wörter wie „Fuck“ oder „Shit“, wirkt

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blauen Hindu-Göttern und zarten Sonnenstrahlen, die durch das große Fenster hereindrängeln.

LIEBESDINGE. Sinéad O’Connors Hektik weicht plötzlich gespannter Ruhe und in den nächsten andert-halb Stunden redet sie über alles: ihre (Sehn-)Süchte und Verzweif-lungstaten – und den frühen Tod ihrer Mutter, einer Kleptomanin, die Sinéad und ihre Geschwister grob misshandelt und geschlagen hatte: „Ich war 17 oder 18, als sie starb. Ein Auto unfall. Zuvor hatte ich sie mit all den Dingen konfrontiert, die sie uns angetan hatte, und sie hat alles

abgestritten. Trotzdem war ich im Frieden mit ihr, als sie ging. Sie ist meine Mum, ich liebe sie.“

Die Sängerin wuchs großteils bei ihrer „magischen“ Oma und ihrem Vater auf. Doch niemand vermochte den Teenager zu bändigen. Weil die Rebellin so häufi g beim Klauen und Schwänzen erwischt wurde, steckte sie ein Sozialarbeiter in eines der be-rüchtigten irischen „Magdalene Asy-lums“, katholische Besserungsanstal-ten für Mädchen und ledige Mütter.

„Eine schmerzhafte Zeit“, er-zählt sie, „aber auch der Wendepunkt in meinem Leben. Sonst wäre ich im Knast gelandet.“ Eine Nonne

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„ES GIBT NUR EINEN GRUND, EIN ALBUM ZU MACHEN ... ... du wirst verrückt, wenn du es nicht tust“, sagt Sinéad O’Connor und zupft eine Melodie in ihrem Proberaum. „Aber heute will jeder nur reich und berühmt werden. Alles Schwanzlutscher.“ Ihre größten Vorbilder kommen aus dem Reggae. Überall in ihrem Haus und ihrer Arbeit stößt man deshalb auf die Farbkombination Grün-Gelb-Rot. „Die Rasta-Leute verstehen ihre Musik als Priesterschaft. Genauso wie ich.“ Außerdem hätte sie gern Dreadlocks, „aber das dauert so lang – Jahre. Verdammt!“.

„Ich sch*** auf alles – außer den Heiligen Geist und die

Kids.“

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dabei aber nie brutal oder primitiv. Ihr letzter Mann, Barry, ein Thera-peut, wohne gleich die Straße runter, erzählt sie. Die beiden schworen sich im Dezember 2011 in Las Vegas die ewige Liebe und trennten sich 17 Tage später wieder. „Wir lassen uns aber nicht scheiden, damit ich nicht sofort wieder losrennen und heira-ten kann.“ Jetzt lacht sie zum ersten Mal. Rau hört sich das an. Seemän-nisch. „Ich fühle mich sehr männ-lich, ziemlich testosteronisch. Ich glaube an die Theorie, dass wir halb weiblich und halb männlich sind.“

Das Telefon klingelt. Auf dem Dis-play leuchtet „Dad Mobile“. Das Ver-hältnis zu ihrem Vater beschreibt sie als eng und herzlich. Genauso wie jenes zu ihren Kindern. „Sie sollen wissen, dass sie verdammt groß artig sind. Als meine Tochter klein war, kam sie einmal in die Küche und sag-te: ,Rate mal‘, und ich: ,Was?‘, und sie: ,Ich bin toll!‘. Das will ich für meine Kinder: Selbstbewusstsein. Gera-de deshalb, weil ich es nicht hatte.“ Dabei wirkt die Musikerin ausgegli-chen, fast glücklich. „Ich habe mich spirituell weiterentwickelt“, sagt sie. „Und ich scheiße auf alles – außer auf den Heiligen Geist und die Kids.“

GESPALTEN. Vor einigen Jahren wurde bei der Sängerin eine manisch-depressive Störung diagnostiziert. Seither nimmt sie Medikamente ge-gen Symptome wie Schlafl osigkeit, Unruhezustände und Appetitlosig-keit. Doch im Frühjahr 2012 erlitt sie einen schweren Zusammenbruch und musste die Tour zu ihrem Album How about I be me (and you be you)? ab-

brechen. „Ich habe mich gefühlt, als würde ich unter Wasser laufen“, erin-nert sie sich. Der Grund für den Rück-fall: O’Connor hatte die Medikamente abgesetzt, weil sie davon so stark zu-nahm. „Aber heute bin ich richtig ein-gestellt und freue mich auf die Fort-setzung der Crazy Baldhead-Tour.“

Ihre Bi-Polarität sei sogar segens-reich, aus kreativer Perspektive. Ihr Verhältnis zur Musik sei dadurch noch stärker: „Ich war einmal in ei-nem Club mit schrecklichem Sound. Also habe ich mir LSD reingeknallt. Aber nichts passierte. Erst als ich ei-nen Fuß auf die Straße setzte, meinte ich zu fl iegen.“ Sie ist sicher: „Es war die Musik, die mich gestoppt hatte.“

Später zog sie aus London weg, weil sie ihre Kinder nicht den Drogen und der Kriminalität aussetzen wollte. „Nicht mehr so Rock ’n’ Roll“, sagt sie, klingt zufrieden, fast stolz.

ALLES GUT. Als ich ihr zum Ab-schied vom Kompliment des zahn-losen Taxifahrers erzähle, lacht sie: „Das war bestimmt Peter. Wir sind befreundet.“ Dann umarmen wir uns und ich bin raus – kurz bevor ihr Sohn um die Ecke biegt: „Mama, ich bin daheim!“

TIPP!ICH WILL! Auf ihrer aktuellen Single 4th

and Vine besingt Sinéad O’Connor den sprichwört-

lich schönsten Tag im Leben einer Frau: die Hochzeit.

Mit ihren vier Ehen hat die fröhliche Nummer aller-

dings nichts zu tun. Sagt sie.

BOTSCHAFTERIN. Die geweihte Prieste-rin einer katholischen Splitterkirche fühlt sich beseelt vom Heiligen Geist. „Ohne ihn gäbe es nichts“, sagt sie und zeigt das große Jesus-Tattoo auf ihrer Brust. Trotzdem, oder gerade deshalb, greift sie immer wieder die katholische Kirche an. „Männer in Kleidern“ hätten den Glauben verraten und Kinder missbraucht. „Wir brauchen keine Religionsführer“, ist sie überzeugt. „Wir müssen nur ein univer-selles Prinzip kennen: Seid gut zueinander.“

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