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OLIVIER MESSIAEN Quatuor pour la fin du temps Kompositionsdatum: 1940–1941. Satzbezeichungen: 1. Liturgie de cristal, 2. Vocalise, pour l’Ange qui annonce la fin du temps, 3. Abîme des oiseaux, 4. Intermède, 5. Louange à l’Eternité de Jésus, 6. Danse de la fureur, pour les sept trompettes, 7. Fouillis d’arcs-en-ciel, pour l’Ange qui annonce la fin du temps, 8. Lounge à l’Immortalité de Jésus. Erstaufführung: 15.01.1941, Stalag VIII-A, Baracke 27-B, Görlitz (Schle- sien). Beteiligte Künstler: Jean Le Boulaire (Violine), Henri Akoka (Klarinette), Etienne Pasquier (Violoncello), Olivier Messiaen (Klavier). Erstdruck: 1942, Durand & Cie. Ersteinspielung: 1957 (Datum der Regestrierung als Le Club Français du Disque Nr. 77), Jean Pasquier (Violine), André Vacellier (Klarinette), Etienne Pasquier (Violoncello), Olivier Messi- aen (Klavier). Als Olivier Messiaen 1940/41 sein bahnbrechendes Quatuor pour la fin du temps komponierte, war er 32 Jahre alt und konnte auf ein umfassendes Musikstudium und mindestens ein Jahrzehnt an Kompo- sitionserfahrung zurückblicken. In den 20er Jahren besuchte er das Pariser Conservatoire, wo er im Laufe seines elfjährigen Studiums bei Marcel Dupré, Paul Dukas und anderen verschiedene Auszeichnungen

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OLIVIER MESSIAEN

Quatuor pour la fin du temps

Kompositionsdatum: 1940–1941. Satzbezeichungen: 1. Liturgie de cristal, 2. Vocalise, pour l’Ange qui annonce

la fin du temps, 3. Abîme des oiseaux, 4. Intermède, 5. Louange à l’Eternité de Jésus, 6. Danse de la fureur, pour les sept trompettes, 7. Fouillis d’arcs-en-ciel, pour l’Ange qui annonce la fin du temps, 8. Lounge à l’Immortalité de Jésus.

Erstaufführung: 15.01.1941, Stalag VIII-A, Baracke 27-B, Görlitz (Schle-sien).

Beteiligte Künstler: Jean Le Boulaire (Violine), Henri Akoka (Klarinette), Etienne Pasquier (Violoncello), Olivier Messiaen (Klavier).

Erstdruck: 1942, Durand & Cie. Ersteinspielung: 1957 (Datum der Regestrierung als Le Club Français du

Disque Nr. 77), Jean Pasquier (Violine), André Vacellier (Klarinette), Etienne Pasquier (Violoncello), Olivier Messi-aen (Klavier).

Als Olivier Messiaen 1940/41 sein bahnbrechendes Quatuor pour la

fin du temps komponierte, war er 32 Jahre alt und konnte auf ein umfassendes Musikstudium und mindestens ein Jahrzehnt an Kompo-sitionserfahrung zurückblicken. In den 20er Jahren besuchte er das Pariser Conservatoire, wo er im Laufe seines elfjährigen Studiums bei Marcel Dupré, Paul Dukas und anderen verschiedene Auszeichnungen

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in Harmonielehre, Kontrapunkt, Orgelspiel und Komposition erhielt und mit eigenen Orgel- und Klavierkompositionen wie Le banquet

célèste (1928) oder den Préludes (1929) hervortrat. 1931 wurde Messi-aen »organiste titulaire« an der Eglise de la Trinité in Paris und gründe-te ein Jahr später mit der Violinistin und Komponistin Claire Delbos eine Familie. Während der 30er Jahre komponierte er erstmals Orches-ter-, Kammer- und auf eigenen Texten basierende Vokalmusik (Les

offrandes oubliées für Orchester, 1930; L’Ascension für Orchester, 1933; Thèmes et variations für Violine und Klavier, 1932; Poèmes

pour Mi für Sopran und Orchester, 1936) und befaßte sich mit Hindu-rhythmen, die für seine kompositorische Entwicklung zunehmend an Bedeutung gewannen. Ebenso begann Messiaen, den elektroakusti-schen Klang der Ondes Martenot kompositorisch auszuschöpfen (Fêtes des belles eaux, 1937; Deux monodies, 1938). Die bis dahin komponierten Werke zeichnen sich vor allem durch homophone Tex-turen und vielfältige komplexe rhythmische Strukturen aus. Sie sind wie auch viele spätere Kompositionen entweder religiös oder familiär inspiriert und explizit gefühlsbetont, ein Aspekt, auf den die 1936 von Messiaen, André Jolivet, Daniel Lesur und Yves Baudrier gegründete Gruppe »La Jeune France« abzielte, im Gegensatz zur kompositori-schen Anschauung Strawinskys oder der Gruppe der »Six«.

Unmittelbar nachdem Messiaen die Orgelkomposition Les corps

glorieux im August 1939 beendet hatte, wurde er zum Militärdienst im soeben ausgebrochenen Zweiten Weltkrieg einberufen.1 Wenige Monate nach dem Einmarsch der Deutschen in die Niederlande und Belgien im Mai 1940 geriet er auf dem Weg von Verdun nach Nancy in deutsche Kriegsgefangenschaft und wurde ins Gefangenenlager (Sta-lag VIII A) bei Görlitz in Schlesien überführt. Dort komponierte er im Winter 1940/1941 sein bislang ambitioniertestes Werk, Quatuor pour

la fin du temps. Nach seiner Haftentlassung 1941 (dank des wenn auch deplorablen Waffenstillstandsvertrages zwischen Hitler und Pé-tain im Frühling 1941) nahm Messiaen wieder seine Organi-stentätigkeit an der Trinité-Kirche auf. Zugleich wurde er als Harmo-nielehrer an das Conservatoire berufen und begann von 1943 an,

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private Kompositionskurse zu erteilen, an denen aufstrebende Künstler wie Pierre Boulez und Yvonne Loriod teilnahmen.

Bis Mitte der 40er Jahre komponierte Messiaen einige seiner bedeu-tendsten Werke, Visions de l’Amen für zwei Klaviere (1943), Trois

petites liturgies de la Présence Divine (1943–1944), das abendfüllende Klavierwerk Vingt regards sur l’Enfant Jésus (1944) sowie die eben-falls umfangreiche Turangalîla-Symphonie für Klavier, Ondes Marte-not und Orchester (1946–1948), die in begrenztem Maße seriell orga-nisierte rhythmische Strukturen in einigen Schlagzeugstimmen aufweist. In diesem Zeitraum verfaßte er auch seine einflußreiche Ab-handlung Technique de mon langage musical (1944), in der er Einbli-cke in sein kompositorisches Denken zu dieser Zeit gewährt und in der er die musikalischen Parameter unter Verwendung zahlreicher Musik-beispiele aus eigenen Werken systematisch behandelt. Der Quatuor und die Technique scheinen mehrfach miteinander verbunden zu sein: Die Technique, zu deren wichtigsten Aspekten Messiaens Rhythmus-theorien zählen, ging aus dem zweiten Teil des Vorworts des Quatuor

(»Petite théorie de mon langage rythmique«) hervor, und sie enthält überdies mehr Beispiele aus dem Quatuor als aus anderen Werken.

Der knapp eine Stunde dauernde, achtsätzige Quatuor wurde mit einer Werkeinführung von Messiaen nebst einem Vortrag über die Offenbarung des Johannes am 15. Januar 1941 bei eisiger Kälte in der Baracke 27-B des Gefangenenlagers zur Aufführung gebracht. Die Zuhörerschaft aus französischen, belgischen und polnischen Kriegsge-fangenen entstammte allen sozialen Schichten und soll (nach Mes-siaens eigenen Angaben) etwa 5.000 Menschen umfaßt haben.2 Es gab auch einen Programmzettel, der von einem deutschen Soldaten kalli-graphisch gestaltet worden war.3 Das Publikum nahm das Werk mit größter Aufmerksamkeit auf: »Everyone listened religiously, with great concentration, even those who were perhaps listening to chamber music for the first time. It was miraculous.«4 Die Besetzung durch Vio-line, Klarinette, Violoncello und Klavier, für die Messiaen den Quatuor

konzipierte, war auf spezifische Umstände abgestimmt. Unter den Kriegsgefangenen befanden sich der Klarinettist Henri Akoka, der sein

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Instrument bei sich hatte, der Violinist Jean Le Boulaire sowie Etienne Pasquier, Cellist des renommierten Pasquier Trios. Zwecks der Einstu-dierung und Aufführung dieses Werkes im Gefangenenlager war Le Boulaire eine Violine und Pasquier ein Violoncello sowie Messiaen ein ramponiertes, verstimmtes Klavier von den Deutschen zur Verfügung gestellt worden.5

Die chronologische Entstehung der einzelnen Sätze des Quatuor kann nicht eindeutig rekonstruiert werden. Nach Pasquier verfaßte Messiaen unabhängig von der Quatuor-Konzeption bereits in Verdun ein Solostück für Klarinette für Akoka, wo er diesen mit Pasquier be-freundet hatte.6 Daraufhin komponierte Messiaen im Gefangenenlager bei Görlitz ein kurzes Trio für Violine, Klarinette und Violoncello. Das Klarinettensolo fand als dritter Satz (Abîme des oiseaux) und das Trio als vierter Satz (Intermède) Eingang in das Quatuor. Zwei Sätze beru-hen auf zuvor komponierten Werken Messiaens: Dem fünften Satz Louange à l’Eternité de Jésus liegt eine freie Transkription für Violon-cello und Klavier des langsamen Teiles von Fête des belles eaux zugrunde, welches anläßlich der Pariser Weltausstellung 1937 für sechs Ondes Martenot konzipiert worden war. Der achte Satz Louange à

l’Immortalité de Jésus ist eine Übertragung des zweiten Teils des Or-gelwerkes Dyptique (1930) für Violine und Klavier.7 Im weiteren be-stehen thematisch-motivische Querverbindungen zwischen einigen Sätzen. Im dritten und sechsten Satz etwa verwendet Messiaen thema-tisches Material des »Intermède«, im zweiten Satz wird Motivik des dritten und im siebten Material des zweiten Satzes entwickelt. Solche Bezüge mögen allerdings nur in begrenztem Maße ein Licht auf die Chronologie der Entstehung der Sätze werfen. Es besteht auch Un-klarheit darüber, in welchem Stadium des Komponierens Messiaen die Disposition des gesamten Werkes entwickelte. Im Blick auf das Werk als Ganzes scheint es jedoch, als hätte Messiaen die Sätze der Reihe nach ausgearbeitet – beginnend mit dem ersten Satz »Liturgie de cristal« (»Bien modéré, en poudroiement harmonieux«), der laut Messiaen vom morgendlichen Erwachen der Vögel angeregt wurde, endend mit dem achten Satz »Louange à l’Immortalité de Jésus« (»Extrêmement lent et

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tendre, extatique«), mittels dem Messiaen die Unsterblichkeit Jesu zu preisen gedachte und der in höchstmöglichen Registern in Violine und Klavier und im dreifachen piano ausklingt.

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hrsg. von Albrecht Riethmüller, ISBN 978–3–89007–422–1, S. 277–283.

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